Vor uns liegt das Superwahljahr 2021; Kommunalwahlen am 14. März, und auch die Fuldaer Oberbürgermeisterwahlen werden 2021 stattfinden.Und dann liegt da noch ein Winter mit Corona vor uns. Grund genug für ein paar Gedanken dazu, was aus unserer Sicht wichtige Merkmale guter Städte sind.
1-Fulda ist eine Region, die sich rühmen kann, seit Jahren ausgesprochen niedrige Arbeitslosenzahlen aufweisen zu können.
Dennoch hat die Region einen hohen Anteil an befristeter Beschäftigung und prekären Arbeitsverhältnissen. Menschen mit Einwanderungs- und insbesondere Fluchtgeschichte arbeiten in erheblichem Umfang unter diesen Bedingungen.
Wir haben in den letzten Monaten, seit Corona erhebliche Einschnitte bei den Betrieben verursacht, erlebt, dass die Corona-Krise insbesondere eben diejenigen Beschäftigten gefährdet, die leicht kündbar sind. Bisher steht die Wirtschaft im Blickpunkt von Öffentlichkeit und Politik. Wir fordern deshalb für Fulda ein „Sofortprogramm Beschäftigungssicherung“.
2-In der Region Fulda gibt es erfolgreiche Firmen, die davon zeugen, dass es seit dem Anwerbeabkommen der 50-er Jahre Arbeitsmigration gibt.
Fast 25 Prozent der Menschen, die in der Region Fulda leben, haben selbst oder kommen aus Familien mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte. Die Fuldaer Politik bemüht sich, dies anzuerkennen und Manches wurde gemacht.
Jedoch ist dies erst ein Anfang. Viel muss noch getan werden. So sprechen wir in der Region noch immer von „Integration“, statt von Teilhabe dieser Bevölkerungsgruppe, die zu einem erheblichen Teil bereits in Fulda geboren sind.
Und immer noch konzentriert sich soziale Benachteiligung im erheblichen Umfang bei diesen Menschen und es gibt nach wie vor erhebliche Teilhabedefizite. Offenbar ist soziale Benachteiligung hartnäckiger und geht tiefer, als gedacht und gehofft wurde. Dies wird auch als strukturelle Diskriminierung bezeichnet.
Wir sagen: Das ist in einer Stadt wie Fulda nicht hinnehmbar.
3-Und nun auch noch Corona.
Schon vor der Corona-Krise gab es alarmierende Entwicklungen. Nach wie vor sind Kinder aus Familien mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte im Bildungssystem und beim Übergang von der Schule in Berufsausbildung benachteiligt. Bildungsbenachteiligung ist hartnäckig.
Wir sagen: Ein neuer Bildungsaufbruch ist notwendig: alle, die etwas beitragen können – vor allem die Schulen, die Betriebe, die Kammern und Gewerkschaften, die Menschen im Quartier, die Migrant*innenorganisationen – müssen als Verantwortungsgemeinschaft unter Koordinierung der Stadt diesen Bildungsaufbruch lostreten. Gerade jetzt und mit besonderer Aufmerksamkeit auf diejenigen Kinder und Jugendlichen, die durch die Corona-Krise in ihrer Bildung zusätzlich Nachteile haben.
4-Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit.
Wir fordern: Die Gesundheitseinrichtungen in unserer Stadt müssen sich noch mehr als bisher der großen Bevölkerungsgruppe mit Einwanderungsgeschichte öffnen. Dies gilt besonders für Menschen, die neu in Deutschland angekommen sind oder die ohne Papiere sind, und dies gilt für Seniorinnen und Senioren mit Einwanderungsgeschichte.
Wir fordern: Eine enge Zusammenarbeit mit Migrant*innenorganisationen – z.B. durch „Gesundheitslotsen“ oder entsprechende Dienste – ist für eine Verbesserung unverzichtbar. Die Corona-Krise hat noch einmal demonstriert, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement aus dem Kreis der Migrant*innenorganisationen ist. Dies muss noch mehr anerkannt und unterstützt werden.
5-Leben in der Stadt ist mehr als Wohnen und Arbeiten.
Neben bezahlbaren und diskriminierungsfrei zugänglichem Wohnraum geht es um die Lebensqualität in den Quartieren. Die Ergebnisse der langjährigen Aktivitäten im Feld der „Sozialen Stadt“ müssen kritisch bilanziert werden.
Wir sagen: Es muss eine klare Ausrichtung auf Zusammenleben in Vielfalt und von verschiedenen Generationen, Attraktivität des Quartiers, Öffnung der Schulen zum Quartier und zugängliche Begegnungsräume für Jugendliche geben. Integrierte Handlungskonzepte gegen den sozialen Absturz von Quartieren müssen zum Einsatz kommen.- Zu einem guten Leben in der Stadt gehört auch, dass die verschiedenen Bürgerdienste unkompliziert und rasch zugänglich sind und dass dort alle Menschen mit demselben Respekt und dem unbedingten Ziel zu helfen behandelt werden.
6-Insbesondere nach dem „langen Sommer des Willkommens im Jahr 2015 sind viele Menschen mit Fluchtgeschichte in die Region Fulda gekommen.
Es ist an der Zeit für eine kritische Bilanz zur Situation von Teilhabe der Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte in Fulda, für alle Lebensbereiche und in Bezug auf den erforderlichen niedrigschwelligen Zugang zu Ämtern und Dienstleistungen.
Wir fordern: Auf der Basis dieser Teilhabe-Bilanzierung und unter bürgerschaftlicher Beteiligung, insbesondere auch der Migrant*innenorganisationen „auf Augenhöhe“, ist es erforderlich, zügig einen Masterplan „Teilhabe an der Gesellschaft der Region Fulda“ auszuarbeiten.
7-Wir leben gegenwärtig unter den Bedingungen der Corona-Krise, deren Ende nicht abzusehen ist.
Viele weitere kritische Monate stehen uns in diesem Winter 2020/ 2021 bevor. Der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (BV NeMO), bei dem Bündnis mittendrin! Mitglied ist, hat sich frühzeitig positioniert: „Die Corona-Krise bedeutet: Hohe gesundheitliche und soziale Risiken. Unsere Befürchtung ist: Es besteht die Gefahr einer Verschärfung sozialer Benachteiligungen, aber auch eines sich verstärkenden Rassismus, in der Krise und als Folgen der Krise. Wenn dies geschieht, werden Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte davon erheblich betroffen sein.“ Es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass diese Befürchtungen zutreffend sind. Es muss alles getan werden, um negative soziale Folgen der Corona-Krise für die Menschen zu vermeiden.
Wir fordern: Es ist erforderlich, umgehend einen Präventionsplan zur Vermeidung negativer sozialer Folgen der Corona-Krise aufzustellen.
8-In der akuten Corona-Krise gab und gibt es auch in Fulda ein Krisenmanagement unter gesundheitlichen und ordnungspolitischen Aspekten.
Aber ohne Beratung mit den Migrant*innenorganisationen vor Ort, die nahe bei den Menschen sind. Teilhabe darf aber gerade in Krisenzeiten nicht ausgesetzt werden.
Daher fordern wir: Es war und ist also ein Steuerungs- und Beratungsgremium zur Bekämpfung sozialer Risiken und verschärfter sozialer Ungleichheit erforderlich, an dem Migrantenorganisationen zu beteiligen sind.
9-Rassismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert.
Die Region Fulda wehrt sich gegen Rassismus und völkischen Rechtsradikalismus. Wir fordern: die Wirksamkeit muss verbessert werden. Notwendig sind u.a. mehr sichere Begegnungsräume und ein verstärkter Opferschutz, eine unabhängige Antidiskriminierungsstelle, Ausbau von Antidiskriminierung als Teil der qualitativen Personalpolitik aller Dienststellen und Ämter, verstärkte öffentlichkeitswirksame Aufklärung.