Bei der letzten Stadtverordnetenversammlung wurde der Fuldaer Ausländerbeirat fast abgewählt. Damit folgte man dem gemeinsamen Antrag von CDU und CWE, die diesen Antrag mit der gleichzeitigen Einrichtung einer Integrationskommission verbanden.
Zwar fiel die Entscheidung dann doch ganz knapp gegen eine Integrationskommission aus, dennoch haben die Vorgänge einmal mehr gezeigt, dass der Fuldaer Ausländerbeirat höchst umstritten ist.
Dies ist aus unserer Sicht bedauerlich, denn der Ausländerbeirat ist eine hervorragende Möglichkeit, zwischen den Wählerinnen und Wählern, die er vertritt, und den Politikerinnen und Politikern zu vermitteln. Kein anderes Gremium kann eine Stadtverordnetenversammlung so gut für die Belange der vielfältigen Gesellschaft in Fulda sensibilisieren, kann die politische Partizipation einer bedeutenden und höchst heterogenen Bevölkerungsgruppe ermöglichen.
Deshalb nehmen wir die jüngsten Ereignisse zum Anlass, Historie, Auftrag und Herausforderungen von Ausländerbeiräten im Allgemeinen hier einmal zu beleuchten und versuchen am Ende die Frage zu diskutieren, wie der Fuldaer Ausländerbeirat sich reformieren kann.
Eins steht schon fest: er wird das nicht allein können, sondern muss es mit den politisch Verantwortlichen der Stadt aushandeln.
Historie und Auftrag der Ausländerbeiräte
Die Einführung der Ausländerbeiräte ist ein Ergebnis der wachsenden rechtlichen und tatsächlichen Integration der in Deutschland lebenden Bevölkerung. So wurden die ersten Ausländerbeiräte 1971 durch kommunale Beschlüsse als die Antwort auf die zunehmende Zahl der auf Dauer in den Gemeinden lebenden ausländischen Einwohner gebildet. Der Fuldaer Ausländerbeirat konstituierte sich 2007, er besteht aus 11 Mitgliedern.
Der Integrationsrat, in manchen Städten auch Integrationsbeirat oder Ausländerbeirat, hat insbesondere auf kommunaler Ebene die gesetzlich legitimierte Aufgabe, in den Kommunen und Gemeindeverbänden die Interessen der ausländischen Einwohner*innen zu vertreten. Dazu sollen sie die Organe der Kommune in allen Angelegenheiten beraten, die ausländische Einwohner*innen bzw. solche mit Migrationshintergrund betreffen. Die Beiräte sollen deren Beteiligung an politischen Prozessen in der Kommune fördern und deren Belange auch in der Lokalpolitik vertreten. Sie sollen Impulse und Ideen für die Integrationsarbeit geben und die Integrationspolitik dadurch aktiv mitgestalten.
Ausländerbeiräte werden in der Regel alle 5 Jahre gewählt, jedoch kämpfen sie seit Jahren um eine höhere Wahlbeteiligung und eine stärkere und verlässlichere Präsenz von Aktiven, die sich für das ehrenamtliche politische Mandat engagieren.
So betrug z. B. in Hessen bei der letzten Wahl in 2015 die Wahlbeteiligung nur etwa 6%, darüber hinaus fanden sich in einem Drittel der Städte keine Kandidaten für das Amt.
Der Leipziger Beirat hat beachtliche Erfolge bei der Gestaltung der Leipziger Migrationspolitik vorzuweisen: er beriet laut der Studie im Zeitraum von 2010 bis 2018 über 37 Vorlagen der Stadtverwaltung, wird seit einigen Jahren auch in die Beratungsfolge über Anträge der Stadträte und Fraktionen miteinbezogen und werde „rege konsultiert“.
Auch konnte der Beirat eigenes Agendasetting voranbringen: In der Zeit von 2010 bis 2018 brachte der Migrantenbeirat 25 eigene Anträge mehrheitlich initiativ ein und sensibilisierte so die Stadträt*innen für Maßnahmen im Bereich Teilhabe,
Wie wäre es mit einer Integrationskommission?
Integrationskommissionen, deren Mitglieder nur noch zum Teil gewählt und statt dessen von kommunalen Gremien ernannt werden, lösen seit einiger Zeit verstärkt die Integrationsbeiräte ab.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Dresden: die 20 Mitglieder des dortigen Integrations- und Ausländerbeirats setzen sich zusammen aus 11 Mitgliedern mit Migrationshintergrund, die über die Integrations- und Ausländerbeiratswahl in eine Vorschlagsliste gewählt wurden, sowie aus 9 Stadträtinnen und Stadträte der diversen Fraktionen aus dem Stadtrat.
Dass die Arbeit einer solchen Kommission gut gelingen kann, zeigt eine jüngste Fallstudie der Uni Leipzig am Beispiel des Leipziger Migrantenbeirats, der sich wie der Fuldaer Ausländerbeirat verhältnismäßig spät, nämlich erst 2009 konstituierte und aus 22 Sitzen besteht: die in der Ratsversammlung erhalten jeweils einen Sitz, die übrigen Sitze sind den Leipziger Bürger*innen mit Migrationsgeschichte vorbehalten. Sie werden jedoch nicht direkt gewählt, sondern von der Ratsversammlung ernannt.
Dieses Vorgehen ist aus demokratischer Sicht jedoch höchst fragwürdig. Indem die Kommunen aus ihrer Sicht „geeignete“ Personen ernennen, wird dem Gremium die politische bzw. legitime Grundlage durch den Wählerauftrag entzogen. Die Unabhängigkeit gegenüber der Kommune ist eingeschränkt bzw. nicht mehr gegeben. Demokratische Systeme werden so nicht gelernt, die politische Partizipation der ausländischen Wählergruppen wird verhindert, und den Kommunen wird die Möglichkeit eröffnet, von den Ausländerbeiräten abzurücken.
So war in der FAZ vom 16.12.2019 ein Statement des Landesausländerbeirat Hessen zu lesen:
„Ein Vorstoß, der für Kritik sorgt. Allen voran vom Landesausländerbeirat….. Denn besonders Beiräte, die sich aktiv in die Stadtpolitik einmischten und auch unbequem seien, hätten oft den Status eines „ungeliebten Kindes“. Durch die angestrebte Gesetzesänderung wird nach Ansicht des Landesausländerbeirats keineswegs politisches Mitwirken gefördert, sondern gestoppt. „Echte Teilhabe wäre, das Kommunalwahlrecht für alle einzuführen“, sagt der Sprecher.“
Vor welchen Herausforderungen stehen die Ausländerbeiräte?
Seitens der Beiräte:
Einer der wesentlichen Faktoren ist das Fehlen finanzieller Möglichkeiten, um die Arbeit des Ausländerbeirats ausreichend bekannt zu machen und politische Werbung an die Wahlbevölkerung zu bringen. Selten können im Vorfeld der Wahlen Wahlkampfveranstaltungen oder Werbe- und Imagefilme angeboten werden. Zumeist bleibt den Kandidaten nur die Möglichkeit, sich bei Veranstaltungen ethnischer Vereine vorzustellen.
Wahlprogramme, die vergleichbar sind mit denen der gängigen politischen Parteien und interessant wären, um Wähler*innen zu überzeugen, sind kaum zu finden.
Hinzu kommt die zumeist fehlende berufliche Expertise der IB, auch im politischen Kontext zu agieren; es fehlt an professionellen Beratern und einem Wissenspool, aus dem heraus die Wählerschicht angesprochen werden kann.
An den Wahlprozess wird dadurch mit deutlich weniger Erfahrung und Kompetenz herangegangen.
Seitens der Wählerinnen und Wähler
Die Wahlbevölkerung ist hochgradig divers und muss dementsprechend vielseitig angesprochen werden (Medianwähler der Volksparteien sind besser einzuschätzen, da die Volksparteien seit viel längerer Zeit Wahlen auf ihre Bevölkerungsschichten anpassen können. Deren Erfahrung mit ihren Wählern ist deutlich höher)
Viele Wählerinnen und Wähler kommen aus Ländern, in denen ein demokratischer Prozess nicht wirklich präsent bzw. erwünscht ist und nicht selten sanktioniert und gar zum Fluchtgrund wird.
Hinzu kommen soziokulturelle Gründe: neben sprachlichen Hemmnissen hat die wahlberechtigte Bevölkerung, die häufig bildungsbenachteiligt ist, zu wenig Kenntnisse über die Arbeit und Vorteile der IBs. Es fehlt womöglich häufig an politischem Hintergrundwissen, von dem heraus die Wahlberechtigten ihre Meinung zu den Wahlen bilden.
Dadurch und aufgrund der o. G. Faktoren können Einflussmöglichkeiten nicht immer richtig vermittelt und Erfolge nicht ausreichend publik gemacht werden. Dies führt u. a. dazu, dass Vertrauen nicht aufgebaut werden kann, was sich wiederum in der geringen Wahlbeteiligung spiegelt.
Und was ist mit Ausländerextremismus?
Kritiker bemängeln, dass es in Ausländerbeiräten oftmals Probleme mit Ausländerextremismus gebe. Kritik an problematischen Listenkandidaten und Vertretern gelte auch denen als Tabu, die rassistische und anti-demokratische Gesinnung selbst ablehnten. So wurde etwa im Januar 2011 berichtet, dass es im Ausländerbeirat der Stadt Frankfurt am Main (KAV) Vertreter gebe, die den rechtsextremen türkischen Grauen Wölfen angehörten. Auch in Wiesbaden, Wetzlar und Aßlar soll es zur Wahl „Grauer Wölfe“ in die Ausländerbeiräte gekommen sein. Erst durch Medienberichte sei man in Hessen auf das Thema aufmerksam geworden. In Essen kam es im Jahr 2010 zu Wahlmanipulationen bei der Wahl des Integrationsrates. Unmittelbar vor der Neuwahl im November 2011 scheiterte eine Resolution gegen die Grauen Wölfe an der Mehrheitsfraktion, welche bei 6 % Wahlbeteiligung (2010: 13,6 %) ihr Ergebnis von 31,0 % auf 48,4 % noch steigern konnte. In Mönchengladbach gelang es dem örtlichen Ülkü Ocak (Idealistenverein) der ADÜTDF, dem Türk Kültür Derneği (Türkischer Kulturverein Mönchengladbach), sich 2010 und 2014 als eines von sechs Gründungsmitgliedern der Liste Türkisch-Deutscher Integrationsverbund (TDIV) in den Integrationsrat wählen zu lassen, ohne dass die Stadtverwaltung oder eine Ratsfraktion das auch nur kommentierte. Auch die Millî Görüş ist dort TDIV-Mitgründer.
Wie könnte der Ausländerbeirat in Fulda reformiert werden?
Wir von Bündnis mittendrin! sehen den Fuldaer Ausländerbeirat als eine bedeutende Möglichkeit zur politischen Partizipation einer wachsenden Fuldaer Bevölkerungsgruppe und als Gremium zur Gestaltung einer auf Vielfalt ausgerichteten Stadtgesellschaft. Auch wenn die optimale Lösung ein allgemeines kommunales Wahlrecht wäre, so kann und MUSS der Ausländerbeirat bis zur Ermöglichung des Wahlrechts die politische Partizipation der ausländischen Bevölkerung in der Fuldaer Stadtpolitik sicherstellen.
Deshalb ist uns wichtig, dass die Schwachstellen, die aus den o. g. Herausforderungen deutlich werden, gestärkt werden:
- Eine gute Öffentlichkeitsarbeit müsste dafür sorgen, dass Themen und Ziele des Beirats adäquat an sein Wahlvolk herangetragen werden, und dass Struktur und Arbeitsweisen für die politisch interessierte Öffentlichkeit transparent gemacht werden.
- Für die Entwicklung und Aktualisierung seiner Ziele braucht der Ausländerbeirat wie die meisten Organisationen vermutlich Raum, Moderation und beratende, fachliche Unterstützung.
- Interne Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind bei der Heterogenität des Beirats vorprogrammiert. Hier könnte Kommunikations- und Konfliktmanagement äußerst hilfreich sein.
- Nicht zuletzt die Personalie Abdulkerim Demir: Herr Demir ist eine seit vielen Jahren in diesem Kontext in Fulda und weit über die Region hinaus bekannte, engagierte, aber auch umstrittene Persönlichkeit. Er selbst hat seinen Rücktritt angeboten, um einer Reformation nicht im Wege zu stehen. Das ist ein feiner, gleichzeitig unabdingbarer Zug, wie wir finden, der für den Fuldaer Ausländerbeirat den Weg zu neuen Möglichkeiten frei macht.
Wir von Bündnis mittendrin! stehen mit unserer vielseitigen Erfahrung und professionellen Kompetenzen gern als beratende, mediative Organisation einem Reformprozess in Fulda begleitend zur Seite!